Komitas und die Deutsch-Armenischen kulturellen Beziehungen

Das Goethe-Zentrum Eriwan kooperiert seit 2018 mit dem Komitas Museum-Institut. Das gemeinsame Programm beinhaltet wissenschaftlich-pädagogische Treffen und Workshops, Publikationen und weitere Initiativen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit präsentieren wir einen Artikel über Komitas und die armenisch-deutschen Beziehungen.

KOMITAS UND DIE DEUTSCH-ARMENISCHEN KULTURELLEN BEZIEHUNGEN

“Mit Ihren geistvollen und tief durchdachten Vorträgen haben Sie uns einen tiefen Einblick thun lassen, in eine Musik, die uns bisher nahezu verschlossen war und die uns Abendländer manches lehren kann. …Sie werden der modernen Wissenschaft Dienste von unschätzbaren Werthe leisten, wenn Sie Ihre Arbeiten veröffentlichen und Ihnen hierzu solche bieten zu können, wird mir zur größten Freude gereichen”.

Oskar Fleischer

“Der tiefe Einblick, den Sie uns dabei in das Wesen einer uns ganz fern stehenden, hochentwickelten Kultur von eminent geschichtlicher Tragweite haben gewinnen lassen,-das überraschend verständnisvolle Eingehen auf Momente, die für die Erkenntnis der ältesten abendländischen Kulturgereich ganz besonders merkwürdig sind,- die vollendete Kunst Ihrer Vorträge und Gesanges – das sind alle Dinge, die mich nur bewundern konnten und die Niemandem Ihrer Zuhörer aus dem Gedächtnis schwinden warden”.

Max Seiffert

Diese Briefe der bekannten deutschen Musikwissenschaftler Oscar Fleischer und Max Seifert sind an den armenischen Folkloristen, Musikwissenschaftler und Komponisten Komitas Vardapet (Geburtsname Soghomon Soghomonyan, 1869-1935) adressiert, einem der berühmtesten Vertreter der armenischen Kultur. Ein wichtiger Teil der Biographie von Komitas ist mit Deutschland verbunden. Im Kontext der armenisch-deutschen Kulturbeziehungen ist der Name Komitas besonders bemerkenswert.

AUSBILDUNG

Komitas wurde 1869 in Kütahya in Osmanischen Reich geboren. Er besuchte die Grundschule in seiner Heimatstadt und dann in der benachbarten Stadt Bursa. Das Schicksal führte Soghomon nach Etchmiadsin, in das spirituelle Zentrum der Armenier. In Kütahya sollte ein Junge mit schöner Stimme ausgewählt werden, damit dieser in Gevorgian spirituellen Seminar von Echmidzin studierten konnte. Dieser Junge war Soghomon, weil er eine sehr schöne Stimme hatte.

Soghomon studierte im spirituellen Seminar von Etchmiadsin, wo er seine erste musikalische Ausbildung erhielt. Schon bald wurde er zum Diakon ordiniert, dann als Mönch. Dabei wurde ihm den Namen Komitas gegeben – zu Ehren von Komitas Aghtsetsi, einem Katholikos aus dem siebten Jahrhunderts, der einer der prominentesten Figuren der mittelalterlichen armenischen Kultur war.

In dem Jahren 1896-99 lebte Komitas in Berlin. Er studierte an der Abteilung für Philosophie der Friedrich-Wilhelm-Universität (der heutigen Humboldt-Universität). Gleichzeitig wurde Komitas in das Richard-Schmidt-Privatkonservatorium aufgenommen. Komitas erhielt solide Kenntnisse, die später für ihn als Musiker eine entscheidende Rolle spielten. Es ist zweifellos, dass die deutschen Wissenschaftler einen großen Einfluss auf Komitas hatten. Das ist sowohl in seinen Werken, als auch in der Eigenart und im Mut des Denkens zu spüren.

Während des Studiums an der Abteilung für Philosophie hat Komitas in der Universität wichtige Fähigkeiten erworben, weil er zusammen mit vielen berühmten Fachleuten dieser Zeit studiert hat. Die Lehrer von Komitas waren: der Mittelalterforscher Oscar Fleischer, ein bekannter Spezialist in Neumenstudien, sowie die Musikwissenschaftler Heinrich Bellermann und Max Friedlander. Die deutschen Lehrer haben Komitas und seine Aktivitäten hoch geschätzt.

In Berlin wurde Komitas einer der Gründungsmitglieder der Internationalen Musikgesellschaft. Diese Gesellschaft wurde 1899 dank den Bemühungen von Oscar Fleischer und Max Seifert gegründet. Leider hat der Erste Weltkrieg die Tätigkeiten dieser Gesellschaft unterbrochen und sie funktionierte seit 1914 nicht mehr. Doch während dieser 15 Jahren hat die Gesellschaft ihre Zeitschrift veröffentlicht, Kongresse und andere Veranstaltungen organisiert, an denen Komitas aktiv teilgenommen hat.

MUSIKWISSENSCHAFT

In Berlin engagierte sich Komitas aktiv in der Forschung. Er studierte tausende Stücke der traditionellen armenischen Musik, verglich und analysierte sie. Er war daran interessiert, den Grund der Originalität der armenischen Musik zu klären und durch die Strukturanalyse zu zeigen. Komitas ist der Erfinder der „Gammen“ (Tonleiter) in der armenischen traditionellen Musik. Er erklärt, wie sie sich von den westlichen unterscheiden. Einer seiner ersten ernsthaften Artikel über die traditionelle armenische Musik veröffentlichte Komitas in der Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft, bei dem renommierten Verlag “Breitkopf und Härtel” in Leipzig. Der Artikel heisst “Die armenische Kirchenmusik“ und sollte ein Teil seiner umfassenden deutschen Monographie bilden. Leider konnte er das deutsche Buch nicht mehr beenden, aber wir haben heute zwei Artikel über die armenische Musik auf Deutsch, dank denen wir verstehen können, wie sich Komitas die armenische Musikanalyse vorstellte.

Komitas beschäftigte sich nicht nur mit der armenischen Musik, sondern auch mit den Tänzen. Ein anderer Artikel mit dem Titel “Die Armenische Reigen” wurde in Marburg auf Deutsch gedruckt.

In  Berlin hielt Komitas diverse Vorträge zur armenischen Musik. Während einer Vorlesung im Scharwenka Konservatorium im Jahre 1899 verglich er beispielsweise die armenische Musik mit der Musik der Nachbarvölker: der Kurden, Araber,  Perser und Türken.

KOMPOSITIONEN

Ein Großteil von Komitas´s Musik wurde in Deutschland geschrieben. Er schrieb Romanzen und Lieder basiert auf den Texten deutscher Dichter, darunter von Theodor Storm (1817-1888), Ludwig Uhland (1787-1862), Johanna Ambrosius (1854-1939), Julius Sturm (1816-1896), Johann Wolfgang Goethe (1749-1832), Nikolaus Lenau (1802-1188) und anderer. Die drei Chorgesänge und zehn Lieder, die erhalten geblieben sind, haben hohes künstlerisches Niveau und leben heute im Konzertleben weiter. Ein weiteres Werk, das Lied “Im heiligen Wasser Babylons”, wurde von Komitas nach dem biblischen Text geschrieben.

An der Universität Berlin hörte sich Komitas einen Kurs von Max Friedländer zum „Deutsche Lied” an, was die Ursache oder Motivation für sein Schaffen der deutschsprachigen Lieder sein könnte. Ähnlichkeiten mit den Werken von Felix Mendelssohn – Bartholdi (1809-1847), Johannes Brahms (1833-1897), Heinrich von Herzogenberg (1843-1900) sind zu bemerken. Der Einfluss von Richard Wagner auf die deutschen Werke von Komitas ist sehr deutlich. Er war für Komitas der größte Inspirator. Sogar in den Arbeitsskizzen der Werke von Komitas finden wir Notizen, die zeigen, daß er einige seiner Werke an der Musik von Wagner angleichen wollte. Einer der interessantesten Fakten über Wagners Einfluss war, daß Komitas, wie Wagner ein episches Oper schaffen wollte. Wagner inszeniert den deutsche Epos im Form von Operndramaturgie; und Komitas entwarf auch aufgrund des armenischen Epos “Sassountsi David” ein Opernwerk. Leider hat er dieses Projekt nicht beendet.

Gleichzeitig schuf Komitas in Berlin auch armenische Werke, die den deutschsprachigen Werken nicht ähnlich sind, aber bereits einen völlig einzigartigen Stil haben.

Interessanterweise arrangierte Komitas die Armenische Liturgie nicht nur in armenischer, sondern auch in der deutschen Sprache. Er übersetzte die armenischen traditionellen mittelalterlichen Texte selbst und bewahrte auch die mittelalterlichen Melodien. Die armenischen und deutschen Liturgien von Komitas unterscheiden sich stark im Stil.

AUF DEM WEG DES KULTURDIALOGS

Komitas erhielt in Berlin solide Kenntnisse, die später für ihn als Musiker eine entscheidende Rolle spielten. Durch Komitas wurde eine einzigartige Brücke zwischen den armenischen und deutschen Kulturen geschaffen. Der Respekt gegenüber Komitas ist von der Gedenktafel für Komitas zu entnehmen, die an der Wand der Humboldt-Universität angebracht wurde (Am Kupfergraben 5 in Berlin-Mitte).

KOMITAS MUSEUM-INSTITUT  UND  GOETHE-ZENTRUM ERIWAN

Seit Gründung des Komitas Museum-Institut 2015 werden hier interkulturelle Dialoge geführt, die das Leben und die Aktivitäten von Komitas berücksichtigen, wo interkulturelle Projekte einen besonderen Platz einnehmen. Die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Zentrum  Eriwan zielt darauf, diesen Prozess fortzusetzen.

Foto: Serie von “Eintausendundein Liedern”. Bände 1, 2 und 3. Herausgegeben vom Komitas Museum-Institut

Im Jahr 2018 initiierte das Komitas Museum-Institut in aktiver Zusammenarbeit mit Goethe-Zentrum die Veröffentlichung einer Serie armenischer Volkslieder mit dem Titel “Tausend und Ein Lied”. Die Besonderheit der Serie besteht darin, dass die Lieder mit Notation, armenischem Originaltext, internationaler wissenschaftlicher Transliteration und englischer Übersetzung präsentiert werden, um für internationale Benutzer anwendbar zu sein. Jeder Band wird mit einzigartigen Illustrationen und Designs präsentiert. Die Notwendigkeit einer solchen Reihe entstand im Rahmen des Bildungsprogrammes am Museum-Institut, wo ausländische Teilnehmer mit verfügbaren Materialien versorgt werden müssen. Band 1 für lyrische Lieder (2018) und Band 3 für Hochzeitslieder (2020) wurden in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Zentrum veröffentlicht.

Auf Initiative des Komitas-Museums-Instituts wurde Wolfgang Hartmann, ein Deutsch Spezialist der Carl Orff Schule, mit Unterstützung des Goethe-Zentrum eingeladen, um Werkstätte zur Orff-Lehrmethode durchzuführen. Der zweiteilige Workshop “Orff – Schulwerk” und das Vortrag “Kreative Arbeit von Anfang an: Orff-Schulwerk-Prinzipien” fanden im Rahmen des Internationalen Forums “Interkultureller Dialog: Wege der Musikalische Bildung” vom 14. bis 15. September 2018 im Komitas Museum-Institut statt, in Vorbereitung auf das 150-jährige Jubiläum von Komitas, im Rahmen des Jahres des Europäischen Kulturerbes. Das Material der Vorlesung wurde in Band 4 des Jahrbuchs vom Komitas Museum-Instituts im Kapitel “Musikalische Bildung” aufgenommen.

Foto: Wolfgang Hartman leitet einen Workshop in Carl Orff Schulwerk

 

Foto: Ein Fragment aus der Werkstatt

Im Rahmen desselben Forums wurde in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Zentrum Eriwan die Werkstatt “Komitas und Deutschland: ein Modell der Musikausbildung im Komitas Museum-Institut” vorgestellt, die von Tatevik Shakhkulyan, Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung des Komitas Museum-Institut entwickelt wurde. Die Werkstatt bietet zunächst einen interaktiven Vortrag zum Thema an und danach eine praktische Arbeit, in der die Teilnehmer zwei Beispiele der deutschen Kompositionen von Komitas zu singen lernen.

Es ist auch schön zu bemerken, dass in letzter Zeit das Interesse der Künstler an den deutschen Werken von Komitas erheblich zugenommen hat. Dies bedeutet, dass die armenisch-deutschen Kultur- und Bildungsbeziehungen kontinuierlich sind und auch in Zukunft originelle Ergebnisse erwartet werden.

Artikel von Tatevik Shakhkulyan, PhD, Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung des Komitas Museum-Institut