„So ist Doğan Akhanli nicht gestorben.“ In Memoriam Doğan Akhanli 1.11.2021

So ist Doğan Akhanli nicht gestorben. – In Memoriam Doğan Akhanli 1.11.2021

Im Januar 2018, kurz nach der Eröffnung des Goethe-Zentrums in Jerewan sitzen wir mit der Leiterin des Sprachlehrzentrums, Nelly Soghomonyan in der noch notdürftig geheizten Lehrerküche zusammen mit einigen Freunden von Sarkis Hastpanian, des armenischen Freiheitskämpfers, Brückenbauers und Intellektuellen, die nach dessen Beerdigung zusammengekommen sind. Mitunter Doğan Akhanli, der dafür extra aus Deutschland angereist ist. Spontan planen wir im Mai desgleichen Jahres eine Lesung und Diskussion mit Doğan Akhanli „Für die Gerechtigkeit“ im Goethe-Zentrum, die seinem Freund Sarkis gewidmet ist. Durch die „Samtene Revolution“ im April 2018 in Armenien bekam diese Veranstaltung mit Doğan Akhanli eine ganz neue Dimension. Zusammen mit seinen armenischen, kurdischen und türkischen Freunden bemühte sich dieser äußerlich so schmächtige, aber innerlich sehr starke Mann für die Gerechtigkeit und die Erinnerungskultur. Doğan Akhanlı setzt sich in seinen Romanen, Essays und Theaterstücken sowie mit seinem politischen Engagement seit vielen Jahren für die Völkerverständigung und Versöhnung ein.

Die Literatur war ihm sein Instrument dafür, die er schon als Kind in seinem Dorf lieben lernte.

„So schön wie die roten Äpfel waren im Winter auch die Bücher, die mit der Post eintrafen. Mein ältester Bruder schickte sie. Er war Internatsschüler auf der Lehrerschule in einer Stadt jenseits der Berge, die im Winter voller unermesslicher Gefahren waren. Diese Bücher bildeten eine Brücke aus Träumen zwischen der Welt und dem Dorf.“ (Madonnas letzter Traum //Januar 1998, Expresszug Köln-Berlin //Die roten Äpfel)
2019 wird die Goethe-Medaille unter dem Motto „Dichtung und Wahrheit“ verliehen. Kein Zweifel, dass Doğan Akhanli einer der besten Kandidaten ist, der dafür symbolisch vom Goethe-Zentrum Eriwan von Armenien aus nominieren wird.

In ihrem Laudatio anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaille in Weimar, am 28. August 2019, führt die Literaturkritikerin Insa Wilke aus: „Literatur kann einen verändern. Sie hat Doğan Akhanlı verändert, er erzählt davon in einer Hommage an seine Mutter, die ihm im Dorf seiner Kindheit die Tore zur Literatur so weit öffnen konnte, dass er heute hier ist. Wenn ich mich heute, nach der Lektüre von „Die Richter des jüngsten Gerichts“, „Annes Schweigen“, „Tage ohne Vater“, „Verhaftung in Granada“ und „Madonnas letzter Traum“, in der Gesellschaft verorte, ist das Bild dafür ein anderes als vor der Bekanntschaft mit Doğan Akhanlı. Aus einem engen Raum ist ein weites Netz geworden, in dem unablässig Botenstoffe hin und her gehen, das arbeitet und beweglich ist, in dem innerhalb von nationalen Grenzen genau diese Grenzen durchlässig werden, ohne dass man unbehaust wird. Man kann sich darin sicherer verorten, weil es dichter geknüpft ist.“

Er selbst widmet seine Medaille den zehntausenden Opfern staatlicher Willkür seines Heimatlandes, u.a.  Hozan Cane, Ahmet Altan, Osman Kavala und Selahattin Demirtaş. In seine Dankrede “Damals und Dort” heißt es: “Die Politik kann das Erinnern vielleicht nicht zur Pflicht machen, der sich jeder zu unterwerfen hat, aber es muss die Erinnerung gegen die neuen Vernichtungspropheten täglich verteidigen. Den Rest schaffen wir als zivile Gesellschaft allein. Und wir lassen nicht zu, dass sich eine Geisteshaltung, die genozidale Verbrechen ermöglicht hat, wieder durchsetzt.“

In einem Brief von Doğan Akhanli an das Goethe-Institut schreibt der Autor 2019 über die Wichtigkeit eines Dialog-Raums für Länder, die sich im Konflikt befinden, der mittels einer Institution, wie das Goethe-Institut geschaffen werden kann. Nach dem zweiten Karabach-Krieg 2020 scheint das im Kaukasus noch wichtiger geworden zu sein:

„Die heutigen politischen Umstände in der Türkei, Armenien und Deutschland über ihre jeweilige  Auseinandersetzung mit ihre Gewaltgeschichte und Erinnerungsarbeit erscheint mir erforderlich und  notwendig. Es sollte ein Dialog – Raum eröffnet werden, in der mit Mitteln der Literatur und Kunst, die verschieden Perspektiven und unterschiedlichen Umgangsformen der jeweiligen Länder,  aus ihre Perspektive und Position heraus,  die Vielschichtigkeit der Erinnerungsarbeit zur der Gewaltgeschichte sichtbar machen. Die Goethe-Institute in diesen beiden Ländern könnten hiermit einen wichtigen Beitrag zu diesem Dialog leisten. Ich bin überzeugt, dass darüber hinaus, transkulturelle Verständigungskompetenzen über die heutigen Konfliktbeziehungen in diesen Ländern, sehr damit geholfen werden könnte.“ (//Doğan Akhanlı an die Zentrale München, Dr. H.C. K.-D. Lehmann 18.09.2019)

Es war Anfang März 2020 als Doğan Akhanlı   im Goethe-Zentrum Eriwan seinen Roman „Madonnas letzter Traum“ präsentierte und nachher auch über so Vieles diskutiert wurde: Diktaturen, Migration, Schiffbrüche, Menschenrechte, friedliche Revolutionen, Ideale und alles was davon übrig bleibt …  Zeitgleich wurde die Ausstellung „Shipwreck“ bei uns im Zentrum eröffnet. Unmittelbar darauf folgte der Lockdown und der größte Schiffbruch der Menschheit Anfang des  21. Jahrhunderts.

Es gibt Menschen, die nachwirken. Sie bleiben mit ihren Ideen, Taten und Worten immer noch präsent.  »Geh nicht auf das Schiff!«, flüstert uns Doğan Akhanlı  immer wieder ins Ohr, so wie der Autor seiner Heldin Maria Puder, die nicht „so gestorben“ ist.  Die Stimme dieses so feinfühligen, zerbrechlichen aber so mutigen Menschen bleibt uns durch seine Werke erhalten und wird immer lauter!  Kein Schiffbruch und kein tosendes Meer der Diktatoren wird es übertönen können!

„So ist Dogan Akhanli nicht gestorben.“

Text von Natia Mikeladse-Bachsoliani